WN, 11.01.2014

Foto: Gerlinde Rau
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Telgte - Nimmt man die Anzahl der Konzerte, die in Telgte im November und Dezember angeboten wurden, ist die Emsstadt eine wahre Musikstadt. Teilweise zeitgleich an drei verschiedenen Orten wurden Konzerte gespielt. Also alles im Lot? Wohl kaum. Den Männergesangsvereinen brechen die Mitglieder weg, die Musikschule muss ebenso mit sinkenden Schülerzahlen kämpfen wie der Kultur-Freundeskreis mit abnehmenden Abonnenten.

Von Thomas Biniossek

Viele Probleme bei Vereinen und Vereinigungen

Nimmt man die Anzahl der Konzerte, die in Telgte im November und Dezember angeboten wurden, ist die Emsstadt eine wahre Musikstadt. Teilweise zeitgleich an drei verschiedenen Orten wurden Konzerte gespielt. Also alles im Lot? Wohl kaum. Den Männergesangsvereinen brechen die Mitglieder weg, die Musikschule muss ebenso mit sinkenden Schülerzahlen kämpfen wie der Kultur-Freundeskreis mit abnehmenden Abonnenten. Der Frauenchor wurde aufgelöst. Und das Interesse an Zuhörern war zuletzt schwindend. Und dennoch: „Es gibt aller unguter Vorzeichen zum Trotz erfreuliche Entwicklungen", sagt Tobias Köhler, der Vorsitzende des Kultur-Freundeskreises. „Die Musiklandschaft wird sich ändern, aber sie wird in Telgte gut vertreten bleiben", meint Musikschulleiter Gregor Stewing.

Die Zahlen sprechen da zunächst eine andere Sprache: Bei den Männervereinen sind längst Zusammenschlüsse eher die Regel denn die Ausnahme, um überhaupt noch einen vernünftigen Chorklang zu erreichen. In den etablierten Chören fehlt der Nachwuchs, das Durchschnittsalter steigt. Chöre werden gar aufgelöst. Von den ehemals rund 180 Abonnenten des Kultur-Freundeskreises sind derzeit nur noch rund 140 gelistet, der Altersdurchschnitt steigt dramatisch, Nachwuchs im Alter um die 40 Jahre ist nicht in Sicht. Und die Schülerzahlen an der Musikschule haben sich, das hat Gregor Stewing unlängst im Fachausschuss erläutert, in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel reduziert. Auch einige der Musikvereine kämpfen mit Nachwuchsproblemen.

Dabei sind in der Emsstadt Telgte die Voraussetzungen, Musik zu machen, fast paradiesisch. Die Stadt leistet sich eine eigene Musikschule mit qualifiziertem Personal. Alle weiterführenden Schulen haben Musikklassen eingerichtet oder haben sich Ensemblearbeit ins Schulprogramm geschrieben. Senioren- und Pro-Chor, Streicherensemble und Kirchenchöre gehören ebenso zum Angebot wie die Möglichkeit, sich in etlichen Vereinen, Bands oder Ensembles instrumental zu betätigen. Und ein im weiten Umkreis fast einmaliges Angebot von klassischen bis Jazz-Konzerten, von Chor- bis Kirchenmusik, von Big-Band-Auftritten bis zum „Rudelsingen" ist fester Bestandteil des Jahresprogramms für fast alle Zielgruppen.

Woran liegt es dann, dass dennoch das Interesse an institutionalisierter Musik schwindet? „Der viel beschriebene demografische Wandel ist deutlich spürbar", sagt Gregor Stewing und verdeutlicht dies anhand sinkender Zahlen bei den Kinder- und Jugendchören, während der Seniorenchor boomt. Weniger Zeit für Freizeitaktivitäten, und darunter für Musik, haben die Schülerinnen und Schüler angesichts der gestiegenen Anforderungen an den Schulen, unter anderem durch die Schulzeitverkürzung G 8. „Das außerschulische Angebot ist zudem in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen", sagt der Musikschulleiter. Tobias Köhler ergänzt: „Vieles wird von den jungen Menschen ausprobiert. Die Konsequenz, bei einer Sache bleiben zu wollen und auch wirklich zu bleiben, sinkt."

„Der Trend geht zu gemischten oder Frauenchören. Die traditionellen Männerchöre sterben vor sich hin", berichtet Georg Höing, der Chefchorleiter des Chorverbandes Münster Stadt und Land. Der Trend zu Zusammenschlüssen von Chören sei nicht nur in Telgte, sondern im Münsterland, ja in ganz Deutschland zu verfolgen. Und: „Es wird nicht mehr nur gesungen, sondern es wird in Ensembles gesungen", sagt der Telgter Höing weiter. Dies mache sich auch an Chornamen fest: „Die Capella Vocale ist in, der MGV Rheingold ist out."

An Lösungen arbeiten alle Verantwortlichen. „Wir werden neue Angebote schaffen müssen wie beispielsweise zuletzt den Seniorenchor", sagt Gregor Stewing. „Wir bieten zwar Klassik an, sind aber auch bereit für Experimente, für Neues", so Tobias Köhler. Vor allem gelte es, die Kinder und Jugendlichen und in der Folge die jungen Erwachsenen ins Boot zu holen. „Die unter 18-Jährigen können, wenn sie mit den Eltern kommen, kostenlos zu unseren Konzerten kommen."

Ein ganz anderes Problem ist, dass viele musiktreibende Gruppen ihre Konzerte auf das Jahresende terminieren. Damit nehmen sie sich gegenseitig die Besucher, wie das zum Teil im Dezember der Fall war. „Dieses Problem ist bekannt", sagt Musikschulleiter Stewing. Eine Lösung ist aber nicht in Sicht. „Absprachen sind bei so vielen Vereinen und Gruppen fast unmöglich. Und natürlich werden die Planungen schon ein oder zwei Jahre im Vorfeld durchgeführt, weil dazu natürlich auch der Aufführungsort gebucht werden muss. Terminkollisionen sind dabei nicht zu vermeiden."

Wir danken der WN-Redaktion für die freundliche Erlaubnis