Der Auftritt ist zu Ende, ich fühle mich erhaben, glücklich, von Musik durchtränkt – kurz gesagt, einfach unheimlich gut.
Ich war am Vorabend zur Eröffnung der Wallfahrtsaison 2012 ein Teil des Konzerts, Teil des Chores. Die Kirche war voller Menschen, die die Musik genauso wie ich genossen haben. Der Beifall war riesig, der Chor hat als Zugabe noch einmal „Großer Gott wir loben dich” gesungen und dann war es irgendwie zu Ende.
Und so fing alles an: Seit Jahren wusste ich, dass von der Musikschule jedes Jahr ein Projekt-Chor für Sängerinnen und Sänger ohne feste Chorzugehörigkeit durchgeführt wurde. Ich singe zwar gern, meine aber, dass ich nicht gut genug singen kann. Bis ich 2010 zu einem Chorkonzert in der Petruskirche war. Eine Freundin, die eine begeisterte und gute Chorsängerin ist, trat dort auf. Ich sagte ihr, wie gut es mir gefallen hätte und es irgendwie schade ist, dass ich so etwas nicht kann.
Sie meinte dann: „Wenn du doch gern singst, kannst du doch auch dort mitsingen; sing mir mal was vor!”
Ich habe mich dann getraut und mit ihr etwas gesungen. Sie gab mir soviel Mut, dass ich mich für den Projektchor 2011 anmelden wollte. Leider klappte es terminlich nicht. Im Jahr 2012 schrieb Gregor Stewing mich aber an, dass wieder ein Projekt gestartet wird – und ich habe mich angemeldet.
Dann ging es los: Zehn Mal Probe und dann sollte der Auftritt sein. In dem freundlichen Vorbereitungsbrief für Chorneulinge stand geschrieben, man sollte erst mal 4 bis 5 Proben abwarten und danach erst entscheiden, ob es geht oder nicht.
Ich komme mutig zur ersten Probe, kenne auch einige der Sängerinnen und Sänger, und dann ging es los. Wir bekamen alle die Noten für die zu singenden Musikstücke. Ich habe nur ein rudimentäres Notenlesevermögen und kann erst recht nicht vom Blatt singen. Wir singen uns ein – das ging ja ganz gut. Und dann kam das Befürchtete: wir fangen an zu singen, das heißt, die anderen singen so, als kennten sie die Musik schon; alle, nur ich wieder nicht. Warum können die das? Muss an den Noten liegen, die gucken ja auch alle darauf. Ich singe also leiser, praktisch mehr so im Geiste und hoffentlich für die anderen unhörbar. Ich schaue dafür aber intensiv in die Noten, um dahinter zu kommen. Am Ende der ersten Probe fühle ich mich elend und unfähig, jemals in diesem Chor voller Profis und Supersänger/innen mitzusingen. Dabei hörte es sich für mich schon richtig schön an, was die Anderen so von sich gegeben haben.
Am nächsten Tag rief ich meine sangeskundige Freundin an und klagte ihr mein Leid und meine Enttäuschung und dass ich wohl doch besser aufhören sollte. Es gelang ihr aber, mich zu überzeugen, doch weiter zu machen. Ich hätte wohl einfach zu viel auf einmal von mir verlangt.
Also ging ich mutig zur 2. Probe. Ich folgte ihrem Rat, nicht so viel in die Noten zu schauen, sondern einfach zu singen. Mir kam auch gleich das zu Singende noch bekannt vor vom letzten Mal und ich habe einfach mitgesungen. Es machte zum ersten Mal Spaß. Natürlich habe ich nicht alles behalten und richtig gesungen, aber ich war zufrieden mit mir. In der 3. Probe kam ziemlich viel Neues dazu. Ich gab mir Mühe, die Tonfolge zu behalten und mitzusingen. Es war nicht so erfolgreich wie beim 2. Mal, aber ich merkte, die Anderen sind doch nicht alle die perfekten Sänger/innen, für die ich sie anfangs gehalten hatte. Allein diese Erfahrung, dass ich nicht die Einzige hier war, die noch viel lernen musste, war wieder ein Fortschritt. Außerdem besann ich mich wieder auf den freundlichen Brief an die Neulinge in der Sängerszene, nicht so schnell aufzugeben! Das kann ich eigentlich von Natur aus – zäh sein und nicht aufgeben. Mit diesem nun gänzlichen Einlassen auf die Chorproben wurde alles leichter. Ich wurde Teil der Gemeinschaft. Aus diesem Wirgefühl heraus sehe ich gelassener den Fortschritt und auch immer wieder die kleinen Rückschritte, die da waren. Nach etwa 6 bis 7 Proben kriegte ich aber doch wieder große Zweifel, ob das denn so wohl klappen könnte. Es sind ja nur noch so wenige Proben und wir sind immer noch nicht perfekt – und ich wahrscheinlich noch etwas weiter entfernt vom Ziel. Dann kommt der Solist, um mit uns zu proben. Es hörte sich gut an für mich. Der Solist war auch zufrieden mit uns. Na ja, soll er sagen, mit so einem schlechten Chor habe er noch nie gesungen? Das wäre ja auch nicht gerade motivierend gewesen. Es ging also weiter dem Ende der Probezeit entgegen. Das Meiste klappt auch bei mir mittlerweile ganz gut. Ich kann, wenn ich zuhause die Noten verfolge, mir vorstellen, wie die Musik klingt. Das war vor einigen Wochen noch unvorstellbar gewesen.
Es werden Dinge, wie einheitliche Kleidung, eine einheitliche Mappe für unsere Noten, wer nimmt noch teil an einem Zusammensein nach dem Auftritt, und wer bringt etwas zu essen mit, besprochen. Und schon ist es soweit: die Generalprobe zusammen mit dem Orchester in der Kirche. Jetzt muss aber alles klappen. Wenn ich ehrlich bin, da sind immer noch ein, zwei Stellen, bei denen ich nicht so ganz sicher bin. Ich habe aber gelernt, dann nicht falsch dazwischen zu singen, sondern die Unsicherheit zu übergehen. Die Anderen haben, wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hatte, ja auch manchmal kleine Unsicherheiten und Hänger. Gemeinsam haben wir alle, dass wir gern singen. Der Klang unserer Stimmen und der Klang der Instrumente in der Kirche sind überwältigend. Ich freue mich auf das Konzert.
Dann ist es Freitagabend und wir gehen alle einheitlich gekleidet in die Kirche. Es wird noch einmal geprobt. Sehr schön ist der Klang der Oboe. Es kommt nun eine schlechte Nachricht von unserem Chorleiter Georg: der Solist fällt aus, er ist plötzlich krank geworden! Er wird aber dann ersetzt durch zwei junge Musikerinnen.
Um 19.30 Uhr ist Beginn der musikalischen Andachtsfeier wir nehmen ab 19.00 Uhr unsere Plätze vorn in der Kirche ein. Die Zuhörer kommen herein. Ich erkenne einige Bekannte, dann kommt meine Tochter und ich freue mich sehr. Als ich auch meinen Mann in der Menge erkenne, fühle ich mich gut.
Es geht los: nach den ersten Tönen schnürt sich mir fast der Hals zu, irgendwie bin ich so ergriffen. Dann aber singe ich aus vollem Hals. Ich bin ganz konzentriert, jeder Einsatz passt genau, es gibt keine Unsicherheiten mehr, alles singe ich laut und richtig. Ich schwebe in der Musik.
Und dann ist es zu Ende. Wo war aber die Oboe? Hinterher habe ich gehört, der Chor sang irgendwie zu tief, die Oboe konnte so nicht mitspielen. Die Zuhörer wussten es ja nicht und alles war doch gut.
Nach allem ist für mich aber sicher, bei dem nächsten Pro-Chor mache ich wieder mit.
Gudrun Stricker